Be-iahenswertes Eselleben im Comic – Alltagsgeschichten um Ariol & Co.
Ariol ist ein pfiffiger kleiner Esel, wie er im Comic steht. Der schlanke, blaue Typ mit der Rie- senbrille, den hübschen Ohren und dem aufgeweckten Gesicht trabt frohen Mutes durch seinen Kinderalltag, schließlich hat er Freunde, wie Ferkel Ramono: etwas rabaukig und vorlaut zwar, doch trotzdem der beste Kumpel. Oder die schlaue Fliege Surrsula, die bis über den eigenen Brillenrand in Ariol verliebt ist. Und die hübsche, nicht immer herzige Kuh Petula, in die Ariol verliebt ist, bisher ohne größeren Erfolg.
Ein be-iahenswertes Eselleben, zumal Mama Mulchen und Papa Hufus recht nett sind und selbst die Großeltern brauchbar. Klar, es gibt Ärgernisse, wie das fiese Großmaul Kater Tibe- rus oder das jammerlappige Schaf Farmatteo, doch mit denen nimmt es Ariol auf, er ist ja ge- witzt.
Erfunden hat die Reihe um die unverwechsel- bare Bande der Franzose Emmanuel Guibert, von Marc Boutavant herrlich fröhlich illustriert. Bei uns ist Letzterer auch durch die Bände über den Bären Mouk (Reprodukt) bekannt, Guibert durch die Comic-Trilogie Der Fotograf oder die über Alan Cope (beides: Edition Moderne). Gui- bert: „Ariol habe ich mir 1999 ausgedacht, der erste Band erschien 2000. Mein Verleger Bayard bat mich um eine neue Reihe, abgesehen von Sardine de l’espace, die es seit 1997 gab. Ich wühlte in meinen Kindheitserinnerungen und beschloss, Alltagsgeschichten um einen kleinen Esel zu erzählen, der von vielen unterschiedli- chen Charakteren umgeben ist. Meine Vorstel- lung war, bei Ariol die psychologische Sicht zu betonen, das heißt, wenig Action, viele Träume, Gedanken, Wünsche, Gespräche.“
Mittlerweile gibt es bei Reprodukt 11 Bände auf Deutsch, wortfinderisch innovativ übersetzt von Annette von der Weppen. Die Comics bestehen aus mehreren, nie allzu langen Geschichten, oft mit Clou am Schluss. Im neuesten Band Sei kein Frosch, Vanessa (2020) geht es u. a. darum, dass das Froschmädchen Vanessa sei- ne geliebte Oma verloren hat und traurig ist. Was Surrsula dazu bringt, mit Ariol zusammen eine Geschenkaktion zu starten, aus der Ariol als Held hervorgeht, er überreicht Vanessa ein duftes Tröste-Schaumbad. Das allerdings Petula auch gern gehabt hätte. Außerdem versucht er mit Ramono, dem Pferd Mährbert und Surrsula einen „Hengst Heldenhuf“-Film zu drehen, was
leider am Unvermögen der Statisten und an ei- nem Einkaufswagen scheitert. Oder er stöbert durch die wunderbare Buchhandlung vom net- ten Gussmann und bekommt den neuesten Band seines Heldenhuf-Lieblingscomics.
Wirklich Spektakuläres passiert in der Ariol-Welt nicht, dafür sind die Scharmützel, Malheurs und Glücksfälle lebenswahr aus Kindersicht geschil- dert, die Guibert und Boutavant mit viel Einsicht und Feingefühl, Witz, Charme und Spiellaune zu Papier bringen: Albernheiten, unverbrüchliche Freundschaft, anstrengende Familienfeiern, blöde Ängste, plötzlicher Heldenmut, Neid, Eifersucht und Gemochtwerden, Großwerden, darum geht’s hier. Kinder finden sich sicher wie- der. Auch das Kind im Erwachsenen, das freudig feststellen darf, es ist noch da. Die Flohmarkt- Geschichte aus Ballettratten (Bd. 10) etwa zeigt bestens, was gemeint ist. Und was kann man lernen? Höhlen bauen ist viel besser, als drin zu hocken.
Wie gelingt Guibert diese profunde Einsicht in die Wünsche, Ängste und Ansprüche von Kin- dern? Schließlich ist Ariols Kinderwelt höchst überzeugend: „Da gibt es gar kein großes Ge- heimnis“, meint Guibert, „meine Kindheit ist mir noch ziemlich nahe, obwohl ich schon 56 Jahre bin. Ich habe auch nie den Kontakt zu Kin- dern verloren. Ariol und seine Freunde sind mir ganz natürlich zugefallen, ich habe damals sei- ne komplette Klasse mit Charakteren und Namen an einem Nachmittag entworfen. Viele sind von Leuten inspiriert, die ich kannte. Sie und auch mich selbst in Tiere zu verwandeln, war eine lus- tige Aufgabe, die mich auch 20 Jahre nach der ersten Episode noch mit Ideen versorgt“.
Natürlich ist der kleine blaue Esel Guibert selbst. Übrigens, auch das Erwachsenenleben ist bis auf den i-Punkt eingefangen. Die Ariol-Charaktere sind komisch, liebenswert, naseweis, manche
ein bisschen blöd oder gemein, alle eigen und echt. Mimik, Gesten, Atmosphäre, alles ist stim- mig. Böse Imperatoren werden mit Bananen beschossen und die Dunkelheit mit Ritterlist besiegt. Was für eine Feier von Freiheitsdrang, Unbeschwertheit und überbordender kindlicher Fantasie. Mit dem Onkel bei einer lautstarken Fotoautomaten-Session beinahe festgenommen oder am betrüblichen Ferienende bockig zu wer- den, ist mit das Schlimmste, was passiert. Und das Schönste: Von Petula auf einer Parkbank Mathelektionen anhand von Schokoeclairs zu bekommen: Drei Salut mit der Konfettipistole!
Ruth Rousselange
Emmanuel Guibert/Marc Boutavant: Ariol, Bd. 11: Sei kein Frosch, Vanessa. A. d. Frz. V. Annette von der Weppen, Reprodukt 2020, 128 S., ab 6, € 14,– (D),
€ 14,40 (A). ISBN 978-3-95640-237-1