Stefanie Harjes‘ Traumwelten

Stefanie Harjes‘ Traumwelten

Rätselhaft und betörend – eine Entdeckungsreise in Stefanie Harjes‘ Traumwelten

In Der Stein und das Meer (Mixtvision 2020), das sie mit Schauspielerin und Autorin Alexan­ dra Helmig herausgebracht hat, erzählen sie vom grünen Stein Sören, der auf einem hohen Felsen inmitten der Brandung liegt, aber zu gerne aufs Meer hinausschwimmen möchte. Ein unerfüllba­ rer Wunsch? Harjes zeichnet mit Esprit und Witz, obschon die Geschichte recht nachdenklich ist, natürlich geht sie nicht ohne Sturm, Chaos und unerwartete Wendungen ab. Die Motive, die sie findet, sind bestechend, irritierend, animierend im besten Sinne: In einer angebrochenen Tasse hockt etwas, eine Schnecke? Aus dem Sand ra­ gen beschuhte Beine. Was macht da Bert von den Muppets nahe dem Horizont? Das Meer ist dunkel, fast schwarz.

Harjes arbeitet assoziativ, mit Collagen und Fundstücken, hat hier aber mit Skizzen angefan­ gen, was sie nur noch selten tue: „Ich hatte eine bleigraue See vor Augen, habe sie komplett mit Grafit gezeichnet. Wenn ich am Meer bin, kann man manchmal windstille Situationen beobach­ ten, wo Himmel und Meer grau sind. Dann habe ich ein Gefühl von Ewigkeit.“

Stein Sören muss lange warten, bis etwas ge­ schieht, Harjes lässt Figuren als Schattenrisse mit weiten Röcken und Hüten auftreten, eine illustre Gesellschaft aus vergangenen Jahrhun­ derten. Helmigs Text ist poetisch, mysteriös und feinfühlig, gelungen ist ein berührendes Buch über die Zeit, Verlorensein, Gefundenwerden und Zufriedenheit.

Wer Rätselhaftes mag, kommt bei Harjes auf seine Kosten. Betörend sind ihre Frauenfiguren,

sie haben etwas Gazellenartiges, Feenhaftes, Märchenschönes, Erotisches, wirken zerbrech­ lich und zugleich selbstgewiss: „Ich fühle aus der Perspektive einer Frau“, erklärt sie, „sie ha­ ben viele Facetten, eine Fragilität, Feinsinnig­ keit, aber auch eine Stärke.“

Behütend können sie auch sein. Im Traumwolf (Fischer Sauerländer 2018), den Harjes zusam­ men mit Wissenschaftsautor Stefan Klein ge­ macht hat, schläft Elias schlecht, er hat Angst, dass im Traum der Wolf kommt und ihn frisst. Eine übergroße Mutterfigur tröstet ihn. Später lernt Elias seine Furcht langsam zu verlieren. Harjes malt und collagiert seine Traumwelten mit ungestümen Farben und surrealen Mischwe­ sen aus Mensch und Tier. Traumbilder finden sich des Öfteren in ihren Büchern, wie wichtig ist für sie selbst das Träumen? „Existenziell und essenziell wichtig“, sagt sie, „grundsätzlich entstehen viele meiner Bilder im Traum. Zeich­ nen ist für mich manchmal ein halb somnam­ buler Zustand, ich folge Stift oder Farbe, wo  sie mich hinführen.“ Mit dem Traumwolf arbei­ tete sie in Workshops, stellte fest, er bestärkt Kinder.

In Harjes’ Bildern kann man auf Entdeckungs­ reise gehen, stets findet sich Merkwürdiges, das sich einer direkten Zuweisung entzieht. Auch in Als die Esel Tango tanzten (Mixtvision 2016), dort konnte sie sich voll auf das Bildliche kon­ zentrieren und anhand von Redewendungen Erzählbilder kreieren: „Bilder sind vielschich­ tig, Kinder sollen lernen, in ihnen zu spazieren und Geschichten zu erfinden“, sagt sie. Kein

Problem, bei diesen gemütlichen Pudeldamen  im rosa Badewasser oder den Fischen unterm Teppich. Wer hier gar eigene Redewendungen erdichtet, umso besser!

Auch Texte von Franz Kafka (Sauerländer 2019, erstm. bei Ravensburger 2010, dann vergriffen) hat sie kongenial illustriert: „Ich spüre da viel Ähnlichkeit, eine Vertrautheit.“ Harjes bebil­ dert Auszüge aus den Romanen und Aphoristi­ sches, schafft einen sinnlichen Zugang, zeich­ net den schattenhaften Riesenkäfer Samsa, wie er mit Reptilklaue der Schwester Rock zupft oder einen Mann, der im Wagen die Ewigkeitsbahn entlang rast, während sich eine Träumerin aus ihrem Schneckenhaus windet.

Für Tulipan hat sie mit Regina Schwarz Wen du brauchst (2019) herausgebracht, ein bezau­ berndes Buch über Freundschaf und Liebe, das Leichtigkeit und Lebensfreude versprüht. Gera­ de arbeitet sie für die Insel­Bibliothek im Suhr­ kamp Verlag am „Münchhausen“, im Frühjahr 2021 wird es erscheinen.

Harjes ist vielseitig, erarbeitet regelmäßig Zeichnungen zu Zeitschriften­Kolumnen, für Arzberg Porzellan hatte sie Geschirr entwor­ fen. Übrigens setzt sie neben Tusche, Fettstift, Pastellkreiden und Farbstiften in ihren Collagen auch gern mal Kaffee oder Rotwein ein. Oder Kürbiskernöl: „Das wird ein schönes Grün.“ In ihrem Atelier „Überm Wind“ trifft man das Ferd, Bettinchen von Ozelottel, Betty Protest und Paulchen. Wer die sind? Na, einfach mal was ausdenken … Oder träumen.

Ruth Rousselange